Christoph Rütimanns Kunst am Bau im Bahnhof Chur
Grenzgeschichten aus der kleinen Schweiz

Von Karl Wüst,

 Chur (sfd) Im neu gestalteten Bahnhof Chur hat Christoph
Rütimann im Auftrag der Stadt einen grenzüberschreitenden
Kunstparcours angelegt. Er führt zur hiesigen Kathedrale, zurück in
die Schweiz und weiter bis ans Schwarze Meer.

Wer mit dem Zug ankommt, glaubt der SBB und täuscht sich doch:
Der Bahnhof Chur ist "Endstation" - und Ort des Aufbruchs zugleich.
Aufbruch zu einer Kunstreise, die in der Fussgänger-Unterführung
beginnt.

Chur und seine Church

 Hier, in einem lichten Zwischenraum, hat Christoph Rütimann auf
dem endlosen Schriftband "URCHUR" den Wänden entlang notiert, wo
wir uns befinden. In CHURCHURCHURCHUR.

In Rütimanns Werk überlagern sich Geschichte und Gegenwart. Die
Grenze ist fliessend. Und so liest man auch CHURCH. Ja, auch eine
solche gibts schon lange in Chur. Die ersten englischen Touristen,
die im 18. Jahrhundert anreisten, riefen "What a wonderful
Church!".

 "Was wäre Chur ohne diese Touristen?", fragt Rütimann. "Was wäre
Graubünden ohne andere Welten?" Und erinnert an die Zuckerbäcker,
die nach Italien reisten, um dort ihr Glück zu machen.

 Auch die Schweiz (CH) versteckt sich in CHUR. Sie spielt auf der
zweiten Station der Kunstreise eine zentrale Rolle, dort, wo uns
die Rolltreppe auf den Bahnhofplatz spuckt.

 
CHURCHURCHURCHUR   Sandgestralter Beton
Kunst am Bau / Bahnhofplatz Chur 5-teilige Arbeit Chur 2005-7
Brunnen : Nordsee / Rhein  Andeerer Granit
Brunnen : Mar Nair
Situationsplan
Über dieser Treppe hat Rütimann zwei riesige Raumzeichnungen aus
Stahlkanälen, Plexiglas und Lämpchen installiert. Wir schauen
zurück und sehen die verblüffend deckungsgleichen Umrisse der
Schweiz in Rot und - spiegelverkehrt - diejenigen Graubündens, der
kleinen Schweiz, in Blau. Wer Chur verlässt, reist also in die
Schweiz. Wer nach Chur kommt, sieht die Zeichnungen von hinten.
Jetzt liegt Graubünden richtig, die Schweiz spiegelverkehrt.

Die Stadt, die Rütimanns Projekt finanziert hat, sieht - aus
ihrer Perspektive gut nachvollziehbar - in dieser Arbeit ein "Tor
zu Chur". Der Künstler selber bevorzugt die Ambivalenz und nennt
sein Werk ein "Gerüst der Grenzen CH/GR".

Grenzen als Provisorium, fliessend, sich überschneidend, das
Innere und Äussere verbindend. "Die eigene Identität kann sich nur
im Austausch mit dem Fremden stärken", sagt Rütimann, der 1955 in
Zürich geboren wurde, in Schiers im Prättigau aufgewachsen ist, in
Luzern die Schule für Gestaltung absolvierte und seit zehn Jahren
in Müllheim TG lebt.

Umgemünzt auf die Regionen der Schweiz im Zeitalter der
Globalisierung: "Sie können nur sich selber bleiben, wenn sie für
Impulse von aussen offen sind."
Gerüst der Grenzen  CH - GR   LED Installation
Bündner Meerwasser

Grau und Gelb sind die Farben der dritten Station: "Dreibrunnen"
besteht aus drei quaderförmigen Wasserbecken aus Bündner Granit,
die Christoph Rütimann über den Bahnhofplatz verteilt hat. Drei
Brunnen mit gelben Rückenplatten und unterschiedlichen Längen.
"Nordsee" heisst der längste Brunnen, "Mar Nair" der mittlere und
"Mare Adriatico" der kürzeste. Meeresnamen in den drei Sprachen,
die in Graubünden gesprochen werden.

Flüsse der drei Wasserregionen Graubündens fliessen in diese
Meere.  Am meisten trägt der Rhein in die Nordsee, weniger der Inn
aus dem Engadin ins Schwarze Meer, und mit der kleinsten
Wassermenge speisen Flüsse der Südbündner Täler die Adria. Die
Becken, geschnitten aus Stein der drei Regionen, verkörpern die
Meere. Der Strom, der hineinfliesst, die Verbundenheit Graubündens
mit der Welt.

Wunderbar poetisch sind diese Brunnen. Die einschiessenden
Ströme erzeugen leises Plätschern und sanften Wellengang. Die
Abflussrohre hat Rütimann nicht wie üblich über den Becken, sondern
an die gelben Rückwände der Brunnen montiert, wo das Wasser als
feiner Strahl zu Boden rinnt. Eine witzig-ironische
Grenzüberschreitung zum Nutzen der Reisenden, die hier ohne
Körperverrenkungen den Durst löschen können.

Brunnen : Mare Adriatico
© 2013 Christoph Rütimann
Christoph Rütimann
© 2013 Christoph Rütimann
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